keko hat geschrieben:
Ich denke schon, dass es zumindest in der westklichen Welt so läuft, dass man seine irdische Zeit möglichst ausfüllen will oder denkt zu müssen. Ob wirklich jeder was Bleibendes schaffen will, bezweifel ich auch.
Und die Asiaten sind für Müßiggang bekannt? Das trifft vielleicht auf eine privilegierte Priesterkaste zu, die andere für sich arbeiten ließ und das Nichtstun predigte. Alle andern rackern dort wie die Blöden, weil sie den Lebensstandard wollen, den wir im Westen haben.
Die Menschen arbeiten nicht aus einem Missverständnis über das Wesen der Zeit von morgens bis abends, von dem die Religionen sie befreien müssten. Das sind rein theoretische Gedankenspielereien, die für das Erwerbsleben keine Rolle spielen. Oder würdest Du morgen später aufstehen, wenn als bewiesen gälte, dass von einer bestimmten kosmischen Position aus die Zeit nicht existiert?
Die ursprüngliche Aussage war aber, dass uns die Religionen durch Wiedergeburt, ewiges Leben und Jenseitsglaube, vom Dilemma der Sterblichkeit befreien würden. Listigerweise wird jedoch das ewige Leben nur den Gläubigen versprochen, nicht den Ungläubigen, zumindest im Christentum. Jeder durchschaut das sofort als Mittel zur Einschüchterung und zum Machterhalt. Über Jahrhunderte empfahl es sich sogar, für die verstorbenen Angehörigen Geld in den Klingelbeutel zu stecken, damit sie schneller durchs Fegefeuer kämen.
Immanuel Kant hat dargelegt, dass es unmöglich ist, sich Zeit, Raum und die eigenen Existenz wegzudenken (alles andere kann man sich wegdenken). Unser Gehirn ist schlicht nicht in der Lage, von diesen Kategorien zu abstrahieren. Genau das macht sich der Jenseitsglaube und der Glaube an ewiges Leben zunutze. Wir können uns unsere eigene Existenz nicht wegdenken. Wir sind überzeugt davon, dass unser "Ich", also der, der durch unsere Augen schaut, irgendwie unsterblich ist. Außerdem halten wir unerschütterlich daran fest, dass hinter unserem Raum ein weiterer Raum (das "Jenseits") sein müsse.
Das ist eine subjektzentrische Sicht auf die Welt, die uns angeboren ist. Wir sehen uns selbst fortwährend im Mittelpunkt. Wie selbstverständlich zeichneten die frühen Gelehrten die Erde in den Mittelpunkt der Welt, und auf ihr den Menschen als Zentrum der Schöpfung, mit einem Schöpfer, dessen Abbild er zu sein glaubte.
Weil uns diese Perspektive auf die Welt angeboren ist, ist es so leicht für Religionen und Sekten, uns eine Welt zu versprechen, die ganz und gar subjektzentrisch ist: Alles ist vergänglich, nur das "Ich", das wir uns ohnehin nicht wegdenken können, die Seele, ist ewig.
Ob das stimmt, wissen wir nicht, niemand weiß es. Wer mit Patienten zu tun hat, deren Gehirne zerfallen, weiß, dass damit auch deren Ich, ihre Persönlichkeit verloren geht. Es ist daher unwahrscheinlich, dass unsere Persönlichkeit den Tod unseres Gehirns überdauern kann. Ferner haben wir zu akzeptieren, dass das subjektzentrische Weltbild, die uns im Mittelpunkt wähnt, ein Irrtum ist. Weder befinden wir uns räumlich im Mittelpunkt des Kosmos (Giordano Bruno brannte für diese Erkenntnis auf dem Scheiterhaufen), noch sind wir Ziel und Zweck des Universums – Darwin erkannte, dass wir ein Zwischenstadium sind, zwischen Affen und einer von zufälligen Mutationen bestimmten Zukunft liegend, die phylogenetisch (die Art betreffend) werweißwohin führt.
Weil unser Mittelpunktswahn so tief in uns sitzt, dass wir sogar die Unsterblichkeit des "Ichs" anzunehmen bereit sind, ist es so anstrengend, dagegen zu argumentieren. Denn unsere unmittelbare Selbsterfahrung bestätigt uns fortwährend in unserer subjektzentrischen Perspektive. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse empfinden wir bezeichnenderweise als "kalt" – weil sie uns emotional nicht in den Kram passen. Auch mir nicht. Das ist aber kein Kriterium. Hüten wir uns vor Weltbildern, die uns so heimelig, befreiend oder befriedigend erscheinen. Dahinter steckt stets unser Mittelpunktswahn und nicht die Wahrheit. Sorry, wurde zu lang...
