keko hat geschrieben:
Nun, das sind natürlich sehr spannende Fragen, über die ich mir auch schon teilweise Gedanken gemacht habe oder mir in einer Mußestunde machen werde. Auf manche hat die Religion auch Antworten bereitliegen. Nur: Religion hat immer mit "glauben" zu tun, von daher grundsätzlich streitbar. Ich bin auch kein Theologe, nicht mal ansatzweise. Meine Ausbildng war immer sehr naturwissenschaftlich mit dem Abschluß eines Mathe-Studiums. Je älter ich werde, desto mehr wende ich mich von den Naturwissenschaften ab, weil sie mir keine Antworten geben können. Ich bin viel empfänglicher für das Spirituelle geworden...
Ok, ich habe mich beim Lesen gefragt, welche Antwort auf welche Frage Dir die Religionen gegeben haben, aber Du hast als Beispiel den Verzicht genannt als Weg, dauerhaft mit unseren Mitmenschen oder der Umwelt klarzukommen. Akzeptiert, auch wenn diese Erkenntnis jeder gewinnt, der sich mit Problemen der Überbevölkerung oder des Wirtschaftswachstums sachlich auseinandersetzt.
keko hat geschrieben:
Meiner Meinung nach liegen im Geistlichen große Felder brach, wir sind in den letzten Hundert Jahren aufgrund der technischen Revolutionen sehr vernaturwissenschaftlicht.
Das ist richtig, allerdings haben die Kirchen und nicht die Wissenschaft das zu verantworten. Der springende Punkt ist der Begriff des Glaubens, der ursprünglich zwei Bedeutungen hatte. Glauben in seiner Bedeutung zur Zeit Jesu konnte bedeuten "etwas für wahr halten", aber auch "hoffen". Die heutigen Probleme und die Unglaubwürdigkeit vieler theologischer Antworten auf die großen Fragen haben nach meiner Überzeugung mit der Vermischung der beiden Bedeutungen des Glaubensbegriffs zu tun. Ein Beispiel:
"Ihr sollt glauben wie die Kinder!" – Das kann bedeuten, wir sollen Dinge als wahre Tatsachen hinnehmen, die man eigentlich nur einem Kind erzählen kann, kurz: schalte Deine Vernunft aus. Es kann aber auch bedeuten: Ihr sollt
hoffen wie die Kinder! Lebt so, als gäbe es das ewige Leben, als liebtet Ihr Euren Nächsten und würdet von ihm zurückgeliebt. Es bedeutet aber nicht, dass es das ewige Leben tatsächlich gibt, und dass die Liebe zwischen den Menschen eine Tatsache ist.
Naturwissenschaft, Logik und Philosophie haben heute eine Überzeugungskraft, der sich kein vernünftiger Mensch verschließen kann. Es ist eine hieb- und stichfeste Tatsache, dass es den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten nie gab, auch wenn im Alten Testament seitenlang davon die Rede ist. Die Erde ist nicht 6000 Jahre alt. Die Lehre Jesu, die ihm angeblich Gott eingegeben haben soll, ist von ihm in vielen Teilen von damals gerade angesagten Glaubenslehren aus benachbarten Regionen übernommen worden. Die Evangelisten, die die heutige Bibel über das Wirken Jesu schrieben, lebten Jahrhunderte nach Christus und haben mehrheitlich voneinander abgeschrieben, jeweils garniert mit Ausschmückungen, die für sie gerade nützlich waren (es waren ja keine Chronisten, sondern religiöse Eiferer). Es ist eine Zumutung für die heutigen Christen, das Ergebnis als das unumstößliche Wort Gottes zu verkaufen.
Die Naturwissenschaften haben mit den Versuchen, Steine vom Schiefen Turm in Pisa fallen zu lassen, angefangen und sind nun dabei, sich den großen Fragen zu nähern. Was ist Bewusstsein? Was ist ein "Ich", wer ist es, der durch meine Augen sieht? Warum existiert die Welt? Ist das Leben zufällig oder zwangsläufig in ihr entstanden? Wenn die Religionen nicht zwischen Hoffnung und Wahrheit unterscheiden, werden sie dazu keinen Beitrag leisten können.
keko hat geschrieben:
Zum Hungerproblem: ich habe halt ein Beispiel genannt, ich wußte ja nicht, in welche Richtung du denkst. Dass man das weltweite Hungerproblem nicht damit löst, dass man mal eben meditiert und "Om" brummt, ist mir auch klar - der Kirche auch. Wir lösen es aber auch nicht damit, wenn wir den ganzen Tag damit verbringen unser Geld zu vermehren und unseren Lebensstandard zu steigern. Freilich, für diese Einsicht braucht man keine Erleuchtung, das Internet ist voll davon, aber die Religionen erinnern uns ab und zu zusätzlich daran. Die Maxime „Höher, schneller, weiter“ bestimmt unsere Leistungsgesellschaft. Glaubst du daran?
Glauben? Ich sehe die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Ich bezweifle aber, dass wir die Möglichkeit haben, uns anders zu verhalten. Wir sind seit Jahrmillionen die Nachfahren von Siegern und in unserem tiefsten Inneren entsprechend angelegt. Möglicherweise können einige wenige Intellektuelle dieses genetische und kulturelle Erbe in manchen Bereichen abstreifen, aber für die große Masse trifft es nicht zu. Selbst Siddhartha hat nicht in Armut für andere gearbeitet, sondern sein persönliches Steckenpferd, seine eigene Erleuchtung, bis in die Grenzen seiner Möglichkeiten vorangetrieben. Er hat sich um sich selbst gekümmert, Freunde und Familie verlassen und war definitiv ein Egoist auf dem Selbstverwirklichungstrip.
Grüße!
Arne