Erstmal was vorne weg: solche theoretischen Spielchen, wie Du sie hier aufzeigst mögen ganz nett sein, ich halte davon eher wenig, weil die Realität in den allermeisten Fällen anders bzw. nicht kompatibel ist. Damit kann man sich (IMHO) gut beschäftigen, wenn man grade kein dringendes Problem zu lösen hat. In Momenten wie diesen jedoch ist für mich (!) die pragmatische Lösung wesentlich wichtiger als eine theoretisch mögliche, die ich dann nicht umsetzen kann.
Klugschnacker hat geschrieben:
Das interessiert mich jetzt. Keko sagt, er trage keine Verantwortung für die Hilfe vom Menschen, deren Not er nicht selbst verursacht habe. Du hingegen sagst, man habe die Verpflichtung zu helfen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt an Opferbereitschaft. Mich interessiert, wo dieser Punkt auf der moralischen Skala liegt.
Ich stimme Keko durchaus ein Stück weit zu, denn wollte ich jedem helfen, egal ob ich an seinen Problemen Schuld trage oder nicht, hätte ich schon alleine das Problem, dass ich nicht selektieren kann, wem ich als erstem helfe (denn ein Problem von Person A mag für mich weniger schlimm sein als für Person B aber möglicherweise ist das aus deren Sicht heraus ganz anders, ich würde also an dem Punkt schon versagen => nette Theorie, dass man allen helfen muss, praktisch nicht durchführbar, deswegen mein einleitender Satz).
Zitat:
Nehmen wir in einem fiktiven Gedankenexperiment an, Du wolltest auswandern. Die Abreise steht kurz bevor, und Du hättest deshalb Dein Hab und Gut zu Geld gemacht. Dieses Geld trägst Du bei Dir und gehst zum Flughafen. Auf dem Weg dorthin findest Du verhungernde Menschen im Straßengraben. Alle 10 Meter liegt einer stöhnend im Gras. Für jeweils 10 Euro kannst Du einen retten. Da Du viel Geld einstecken hast, fängst Du beim ersten an und gibst ihm die nötigen 10 Euro. Dann gehst Du zum nächsten und so weiter.
Wo befindet sich der Punkt, an dem Du moralisch von weiterer Hilfeleistung befreit bist? Wie stark muss Dein Vermögen schmelzen, dass Du den nächsten Menschen mit Fug und Recht liegen lassen kannst? Ist dieser Punkt erreicht, wenn Du statt 30.000 nur noch 20.000 Euro hast? Immerhin könntest Du dann noch weitere 2000 Menschen retten. Gibt es ein moralisches Gesetz, dass Dich davon freispricht?
Um die Frage zu beantworten fehlt noch eine Information: weiß ich, wieviel Geld ich für die Auswanderung brauche? Falls ja, ist die Grenze klar. Alles was darüber hinaus vorhanden ist, kann ich verteilen. Falls nein - gibt es gar nichts (da ist sie wieder, die Praxis... Ich werde ja nicht mein Geld weggeben und dann selbst dastehen und Hungern). So einfach wie oben formuliert geht es also nicht.
Nächste Frage: was soll ein "moralisches Gesetz" sein? Wer formuliert das? Wer vor allem möchte sich anmaßen, ein solches Gesetz für alle Menschen zu formulieren oder auch nur für eine Teilmenge? Wenn überhaupt, dann kann dies IMHO nur jeder für sich selbst ausformulieren. Meins heißt: Eigenschutz geht vor Fremdschutz.
Zitat:
Nehmen wir weiter an, Du wärest nicht der einzige Mensch mit Geld. Um Dich herum sind 100 weitere wohlhabende Menschen. Ihr beratet gemeinsam, wie viel Geld jeder für sich selbst zurückbehalten darf. Die Frage läuft darauf hinaus: Welcher Mindestwohlstand der Spender ist ein höheres Gut als ein Menschenleben?
Die Frage ist nicht zu beantworten. Falls doch, erbitte ich diese Antwort.
Zitat:
Nehmen wir in einem letzten Schritt an, es gäbe außer den 100 wohlhabenden Menschen, zu denen Du gehörst, und den verhungernden Menschen auf der Straße keine weiteren Personen auf diesem fiktiven Planeten. Ihr könnt die zuletzt gestellte Frage also nicht dadurch loswerden, dass Ihr sagt, andere Menschen müssten mithelfen. Ihr seid die komplette wohlhabende Weltgemeinschaft. Welcher Mindestwohlstand der Spender ist ein höheres Gut als ein Menschenleben?
Siehe oben.
Zitat:
Ich meine, dass sich aus diesen Überlegungen das ethische Gesetz ergibt, allen existenziell bedrohten Menschen helfen zu müssen, denen wir helfen können. Ich sehe darin keine Moralkeule, sondern eine logische Folge aus der Überzeugung, dass das Leben das höchste Gut sei. Solange man daran festhält, gibt es kein Interesse, das man über das Leben stellen darf. Das Leben eines Menschen ist immer mehr wert als Dein Wohlstand, ganz gleich, wie klein dieser Wohlstand ist.
Dazu muss dann erstmal definiert werden, was denn Wohlstand überhaupt sein soll. Eigene Toilette? Jeden Tag was zu essen? Dach überm Kopf? Geht ja auch alles ohne.
Sorry aber das ist mir bei weitem zu weit vom "Leben" entfernt.
Zitat:
Diesem Anspruch kann man in der Praxis nur sehr unvollständig gerecht werden. Das ist bei allen humanistischen Grundwerten so, zum Beispiel dem Recht aller Menschen auf ein Streben nach Glück, das wir in unserer Wettbewerbsgesellschaft nach Kräften mit Füßen treten. Es ändert aber nichts am ethischen Grundsatz.
Eben - Theorie und Praxis.
Zitat:
Die Wahrheit ist wahrscheinlich dies: Dass uns nicht das Leben das höchste Gut ist, schon gar nicht das fremder Menschen. Sondern der eigene Wohlstand. Oder genauer: Die Steigerung des eigenen Wohlstands.
So ist es. Und schon deswegen, nehme ich die geführten Diskussionen in vielerlei Hinsicht nicht (mehr) ernst, denn wenn man sieht, wer da alles höchste Forderungen aufstellt, was doch alles getan werden müsste für die Flüchtlinge, selbst aber außer Tastaturakrobatik nichts macht, der ist für mich halt nicht ernst zu nehmen.
Und um auch noch ein kleines Stück Deiner Frage oben zu beantworten: unsere Zelte, die wir als THW als Einsatzmaterial haben für Notfälle, sind eingezogen worden. Sollte jetzt also irgendwas passieren, wo wir eigentlich Menschen in einem Zelt unterbringen müssen, können wir nur den Kopf schütteln und sagen: "Sorry, ist nicht, bitte im Regen warten, Zelte sind irgendwo in Deutschland in einem Flüchtlingscamp aufgebaut!". Da freuen sich die Leute. So wie sie sich gefreut haben, als ihnen beim Hochwasser vor ein paar Jahren gesagt wurde "Tut uns leid, Ihr Haus wird leider absaufen, unsere Pumpen wurden zur humanitären Hilfe nach New Orleans geschickt, sind dort defekt gegangen und wurden auch nach 4 Jahren noch nicht wieder neu beschafft!"
Ja, da kommt Freude auf. Und ja - das ist der Grund, weswegen ich sage "Wir müssen helfen aber nicht um jeden Preis." Denn natürlich kann gemäß Deinem ethischen Grundsatz der Hausbesitzer nur ins Hotel ziehen oder sich ne Wohnung nehmen, Hauptsache er hat bis zum Existenzminimum (im übertragenen Sinne) geholfen.
Und sobald es dann aus dem von Dir oben beschriebenen idealisierten Zustand rausgeht, wird es noch wesentlich komplizierter, denn dann haben wir eben die Menschen mit so viel Geld, dass sie gar nicht wissen wohin damit und Leute wie uns. Ich bin in solchen Fällen immer für den längsten Hebel und der ist woanders anzusetzen als bei mir oder Dir.
Wie immer: IMHO.