Für die Freunde des gepflegten Silicons: Dolly Parton wird heute (1)60!
Lesenswert, die Laudatio von Heike Makatsch in der F.A.S. vom Sonntag
Heike Makatsch in der F.A.S hat geschrieben:
Die Blondine
Die Countryikone Dolly Parton wird sechzig / Eine Gratulation von Heike Makatsch
VON NEBENAN
Auch wer meint, keinen ihrer Songs zu kennen, kennt ihre Brüste, und auch wer fälschlicherweise glaubt, daß "I will allways love you" aus Whitney Houstons Feder stammt, wird ohne viel Nachdenken die Melodie von "Jolene" mitsummen können. Dolly Parton ist die erfolgreichste Countrysängerin aller Zeiten. Ihre Stimme klingt beim ersten Hören wie Mickey Mouse unter Heliumeinfluß, und sie selbst bezeichnet ihr Äußeres immer wieder als das einer Comicfigur. Es fällt also nicht schwer, sie zu unterschätzen, noch dazu hierzulande, wo Countrymusik häufig belächelt wird. Aber es wäre ein großer Fehler.
Doch ich gebe zu: Wenn ich nicht schon seit Jahrzehnten ein Bewunderer ihres quirligen, reinen Gesangs wäre, ihrer zwischen Folk, Pop und Country tänzelnden Kompositionen und der Texte, die jeglichen Kitsches entbehren, weil die Autorin sie wirklich, ehrlich meint - ich hätte auch meine Schwierigkeiten, diese kleine aufgepumpte Barbiepuppe mit den pastellfarbenen Satinblüschen ernst zu nehmen. Am Donnerstag wird Dolly Parton sechzig Jahre alt, aber das ist eigentlich egal, denn ihr Alter schlägt sich nirgends nieder. Außer in dem umfassenden Schaffenswerk natürlich, mit dem sie seit 1967 die Welt beglückt. Da sind die unzähligen Alben, Hits, Duette und Preise, die sie entgegennehmen durfte. Sie hat in oscarnominierten Filmen Hauptrollen gespielt, als Gastgeberin durch ungezählte Fernsehsendungen und Varietes geführt, sie war das Thema von zig Dokumentationen und schuf durch ihre "Dollywood"-Vergnügungsparks Hunderte von Arbeitsplätzen in der heruntergewirtschafteten Gegend in den Südstaaten der Vereinigten Staaten, aus der sie stammt. Aber in ihrem Gesicht - da kann man die Jahre nicht sehen.
Jedoch auch nicht die durch all die Schönheitsoperationen angestrebte Jugend, denn Botox, Collagen, Facelifts und mit einem Spachtel aufgetragene Schminke machen nun mal nicht jung. Sie machen eher angst. Da steht eine 150 Zentimeter große Frau mit schmerzhaft riesigen Bällen vor dem Brustkorb - man wundert sich, wie sie das Gleichgewicht hält - und strahlt uns mit schneeweißen, falschen Zähnen aus einem gefährlich prallgespritzten Mund an. Über der gespenstisch glatten Stirn mit den hochgezurrten Augenbrauen türmt sich ein platinblond gefärbtes Monstrum - Dolly sagt, sie habe keine Ahnung, wie lang es dauere, diesen Haarberg zu frisieren. Sie sei nie dabei.
Man ist versucht, mitleidig den Kopf zu schütteln, irgend etwas von ,in Würde altern' zu murmeln und im Flüsterton vielleicht noch ,das hat sie doch bei der Stimme gar nicht nötig'. Doch plötzlich hält man inne, schaut in Dollys perfekt geschminkte Augen und fühlt sich ertappt.
Sie weiß das alles, denkt man. Immer wieder ist sie dieser Verwunderung und diesem Voyeurismus begegnet, sie ist es gewöhnt, unterschätzt zu werden. Ihr Blick ist spöttisch und mütterlich zugleich, sie lacht über die reflexartigen Vorurteile, die sie beim Betrachter provoziert, aber sie hat auch Verständnis dafür. Geduldig beantwortet sie in niemals enden wollender Frische jedem Interviewer erneut die ewigen Fragen nach ihrem Äußeren, findet immer wieder Erklärungsansätze, um die sensationslüsterne Neugierde nach ihrer freakischen Verwandlung zu stillen. Wie kommt ein natürliches, hochtalentiertes Mädchen vom Lande, aus Sevierville, Tennessee, dazu, ein Abziehbild eines Abziehbildes ihrer selbst zu werden?
Dolly Parton ist es immer wichtig, darauf hinzuweisen, daß sie aus sehr ärmlichen Verhältnissen stamme. Sie war das vierte von zwölf Kindern, ihre ,Momma' und der Kirchenchor brachten sie zur Musik, der Vater vererbte ihr die Durchsetzungskraft. Geld gibt es in ihrer Familie erst, seit Dolly es verdient, und ihrer Dankbarkeit für die Werte, die sie von den Eltern vermittelt bekam, hat sie in großartigen Liedern wie "Coat of many colours" Ausdruck verliehen. Darin näht Dollys Mutter ihr einen Wintermantel aus verschiedenen alten Stoffetzen, und nachdem er fertiggestellt ist, segnet sie ihn mit einem Kuß. Und als die kleine Dolly mit Löchern in den Schuhen, aber dem neuen warmen Mantel um den Schultern stolz in die Schule spazierte, wird sie von ihren Mitschülern verlacht und gehänselt. Doch Dolly wußte, daß sie mehr besaß, als Geld wert sein könnte, nämlich die Liebe ihrer Familie. "Though we didn't have no money, I was rich as I could be", singt sie mit steinerweichendem Sopran und beweist, daß Geld allein nicht glücklich macht.
Und obwohl Dolly heute eine millionenschwere Geschäftsfrau ist und man sie sicherlich nie mehr in Sack und Asche antrifft, verströmt sie noch immer die Bodenständigkeit einer Bäuerin, die sich die Hände an der Schürze abwischt, die Ärmel hochkrempelt und mit anpackt, wenn der Traktor aus dem Schlamm gezogen werden muß. Ihre Wurzeln trägt sie vor sich her wie ein Schutzschild, persönlich wie auch musikalisch, die Zeit ihrer Jugend im "Tennessee Mountain Home" beschreibt sie in der gleichnamigen Ode als "so friedlich wie den Seufzer eines Babys". Das einfache Leben als gute Amerikanerin, Gott, Liebe für den Nächsten und die Musik, das ist es, wofür Dolly Parton steht. Und so sei es auch, sagt Dolly, zur ursprünglichen Fassung ihres ,Looks' gekommen. Er entstand aus der naiven Vorstellung eines braven Countrygirls, wie Glamour in der großen weiten Welt auszusehen hätte. Es sei eher ein Zufall gewesen, daß das aufgedröselte Flittchen der Stadt dieser Vorstellung am nahesten kam und Dolly zum Vorbild diente.
Mit zwanzig heiratete sie den Straßenbauer Carl Dean, einen Mann, der seither zum Phantom an ihrer Seite herangereift ist und sich komplett aus dem Showbiz-Zirkus heraushält. In den vierzig Jahren ihrer Ehe ist er so gut wie keinmal öffentlich mit Dolly gesichtet worden, ein Umstand, der beim Betrachter Fragen aufwirft, was Dolly jedoch keine Probleme zu bereiten scheint. Sie verlacht Spekulationen über ihre angebliche Homosexualität genauso wie vermeintliche außereheliche Affären mit Burt Lancaster, James Wood oder Sylvester Stallone. Weil ihre religiöse Erziehung sie nicht mit einem moralinsauren Korsett ausgestattet hat, sondern statt dessen mit einem grenzenlos weiten Herzen, das Platz für alle zu haben scheint. Für ihre ausufernde Familie, alle Kinder dieser Welt, frustrierte Hausfrauen, die Armen, die Rednecks der Südstaaten, die Huren der Slums, Transsexuelle, Schwule, Gestrandete.
Sie alle dürfen sich an Dollys überdimensionalen Busen kuscheln. Ohne jemals eine ausgesprochene Feministin gewesen zu sein, rechnet sie 1969 im Song "Harper Valley Pta" mit den Heuchlern einer Kleinstadt ab, die einer alleinerziehenden Mutter das Leben zur Hölle machen, weil sie nicht in deren konservatives Weltbild paßt. Dolly, die Rächerin der Geächteten.
Vielleicht hat Dolly Parton sich deshalb zu einer Figur stilisiert, die es ihren Bewunderern verschiedener sozialer Hintergründe leichtmacht, sie zu lieben. Der Machomann aus Texas muß keine Angst vor der starken, ihm überlegenen Frau haben - Dolly sieht für ihn letztendlich doch nur aus wie eine dumme Blondine. Dessen Ehefrau fürchtet in Dolly keine Rivalin - Dolly ist ein Pin-up, aber keine reale Frau. Transsexuelle können sich mit ihr identifizieren, Schwule wollen sein wie sie, Kinder erkennen in ihr den freundlichen Cartoon. Die armen Bewohner der Slums sehen in Dolly eine Inspiration, Moralisten eine Philosophin, aus der Gesellschaft Verstoßene eine Mutter, und für den Patrioten ist sie Amerika.
Und was bedeutet die Kreatur Dolly Parton für Dolly selbst? Für Dolly ist ihre irreleitende Fassade ein Ansporn, gegen das selbstgeschaffene künstliche Image anzusingen. Den Menschen zu beweisen, daß sie dahinter sehr ,real' geblieben ist. Sie kann sich nie auf ihrem Lorbeer ausruhen, weil sie der Welt zeigen muß, wie gut sie ist - und noch ein bißchen besser. Denn wenn man aussähe wie sie und wenn man dann nicht großartig wäre, dann sei man doch nur ein schlechter Witz, sagt sie über sich selbst.
Als ich einer Freundin erzählte, daß Dolly Parton nun sechzig Jahre alt würde, war diese überrascht. "Was? So jung ist die noch?" Dolly scheint eben schon ewig dagewesen zu sein, sie ist eine Sehenswürdigkeit wie die Golden Gate Bridge, da verliert sich die Bedeutung von Zeit. Ihre Musik ist noch immer frisch, ihre Stimme klingt noch immer wie ein samtenes Glöckchen, und ihr Lächeln wirkt noch immer wie ein heilendes Pflaster auf allen wunden Seelen. Dolly Partons Lieder werden mich mein Leben lang begleiten.
Heike Makatsch, die zuletzt im Fernsehfilm "Margarete Steiff" als gelähmte Firmengründerin ein Millionenpublikum zu Tränen rührte, sang im Kinofilm "Almost Heaven" Countrysongs.
Von Dolly Parton erscheint Mitte Februar bei EMI das Album "Those were the days" mit Coverversionen berühmter Songs, darunter "Imagine" von John Lennon.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.01.2006, Nr. 2 / Seite 24
Bildmaterial: AP, picture-alliance/ dpa/dpaweb, picture-alliance / dpa/epa, picture-alliance / dpa