Herzlichen Glückwunsch an die "rollende Apotheke", den Doping-Superstar der 60er Jahre. Wenn Rudi bei "Rund um den Henninger Turm" vorneweg fährt, dann wird immer noch gejubelt
Sehr schöner Artikel in F.A.S. von heute:
Zitat:
Rudi Altig war ein Bauernopfer
Auch 1969 platzte bei der Tour de France eine Doping-Bombe. Eine Fernfahrt ins Archiv
Von Evi Simeoni
Frankfurt. Der Profi-Radsport ist in Bedrängnis - doch das ändert nichts daran, dass Rudi Altig ein deutscher Sport-Heroe ist. Es waren eben andere Zeiten, als der Mannheimer erfolgreich die großen Rennen fuhr, Weltmeister wurde und Mailand-San Remo gewann. Zwar wurde immer schon gedopt, aber kaum jemand wollte davon etwas wissen. Überhaupt war die Ehrfurcht vor den gigantischen Leistungen der Pedaleure stärker als jeder Vorwurf, sie missbrauchten Medikamente. An diesem Sonntag feiert Rudi Altig seinen 70. Geburtstag, und es zeigt sich, dass sein Denkmal immer noch fest auf dem Sockel steht. Obwohl auch Altig einmal positiv getestet wurde. Ein Gang ins Archiv bringt eine spannende Geschichte wieder ans Licht: Dem 32 Jahre alten Rudi Altig wurde bei der Tour de France 1969 die Einnahme von Amphetaminen nachgewiesen. Trotz Tom Simpsons Doping-Tod zwei Jahre zuvor galt das eigentlich als ein lässliches Vergehen, doch stand die Branche zu jener Zeit in puncto Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit den heutigen Protagonisten in nichts nach: Altig war ein Bauernopfer. So kann man es in einem Bericht des Reporters Ulfert Schröder, eines Pioniers des modernen Sportjournalismus, vom 14. Juli 1969 unter der Schlagzeile "Die Doping-Bombe ist geplatzt" nachlesen. Die Tour-Veranstalter mussten davon ablenken, dass der große belgische Star Eddy Merckx trotz eines vorangegangenen positiven Tests beim Giro d'Italia in Frankreich starten durfte. Seine Sperre war auf Intervention der Tour-Direktion aufgehoben worden, um die Rundfahrt nicht zu entwerten:
"Jedenfalls war also das Doping sehr zum Unwillen der Veranstalter plötzlich wieder hochgespielt in dieser Tour, und es galt nun, ein Exempel zu statuieren", schrieb Schröder. "Der Name Altig schien da gerade recht. Altig ist nach seiner schwachen Leistung in den Bergen nicht mehr wichtig für die Tour, außerdem ist er Mitglied einer Mannschaft, mit der er sich zerstritten hat. Also war auch von dort kein Widerstand zu erwarten. Rudi Altig bot sich als Opfer an. Durch ihn, so glaubten die Veranstalter offenbar, würde ihnen das Alibi geliefert, es sei ihnen ernst mit ihrem Kampf gegen das Doping . . . Ihn schnappte man, weil er mit seinem großen Namen herhalten soll für die anderen. In seiner Branche ist Altigs Handlungsweise nicht mehr als ein Kavaliersdelikt. Jeder schluckt oder spritzt, es gilt allein der Grundsatz, wonach man sich nicht erwischen lassen darf."
So ist wahrscheinlich zu erklären, dass Altig von der Tour-Leitung lediglich mit 15 Minuten Zeitstrafe belegt und nicht etwa disqualifiziert wurde. Von einem festgeschriebenen Strafenkatalog war damals offensichtlich noch keine Rede. Und auch die verbale Selbstkontrolle war noch nicht ausgereift: Durch jede Äußerung der Beteiligten gegenüber den Presseleuten schimmerte damals noch die Wahrheit. So erklärte ein Tour-Arzt namens Dr. Dumas damals sowohl Schröder als auch dem Frankfurter Sportjournalisten Helmer Boelsen unverblümt, er sei davon überzeugt, dass 60 Prozent der Fahrer "hin und wieder zu Präparaten der Indexliste griffen". Offenbar berührte dies nicht seine ärztliche Verantwortung. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. Juli 1969 stand eine Wendung, die in der Folge Einzug in den Stehsatz der Doping-Berichterstattung halten sollte: "Indiz steht gegen leidenschaftliche Beteuerung der Unschuld. Die Deutung ist eine Sache des Glaubens."
Altig jedenfalls behauptete gegenüber Boelsen trotz eindeutig positiver Urintests: "Ich werde mich hüten, meine Gesundheit zu ruinieren." Er führte, wie wiederum der "Stuttgarter Zeitung" zu entnehmen war, die geringe Menge Amphetamin, die man in seiner Probe gefunden hatte, als Entlastungsargument an. So hieß es bei Schröder:
". . . was der Ansicht Altigs entspricht, wonach derjenige nicht des Dopings bezichtigt werden könne, der nur mäßig zu dem gefährlichen Zeug greift. ,Wenn ich ein Glas Bier getrunken habe, wird mir auch nicht der Führerschein entzogen', sagt Altig."
Tour-Arzt Dr. Dumas spielt auch im weiteren Verlauf von Schröders Reportage eine unrühmliche Rolle. Der Autor wirft ihm vor. . .
". . . dass er ganz genau wusste, dass Rik van Looy bei seinem Etappensieg gedopt war, jedoch zur Entschuldigung des Belgiers anführt, der Mann habe den Etappensieg gebraucht. Er sei der alte Star in einem Land, wo Merckx regiert."
An jenem 14. Juli 1969 meldete sich noch ein weiteres Schwergewicht der Radsport-Berichterstattung zu Wort, Hans Blickensdörfer nämlich, das Urgestein der "Stuttgarter Zeitung". Er führte unter dem Titel "Das Exempel" unter anderem die Worte des Franzosen Bernard Guyot gegenüber einem französischen Sender als Beispiel für eine geschicktere Verteidigung an, als Altig dies gelungen sei. Aus heutiger Sicht würde man vielleicht eher von mangelndem Unrechtsbewusstsein sprechen. Auch Guyot gehörte zu den insgesamt fünf Profis, die bei der damaligen Tour des Dopings überführt wurden - alle fünf hatten mit dem Ausgang der Rundfahrt nichts mehr zu tun.
",Wenn Sie sich elend fühlen', sagte er, dann gehen Sie in die Apotheke, um sich ein Medikament zu kaufen. Sehen Sie, und das Gleiche habe ich vor der großen Alpen-Etappe getan. Ich war in schlechter Verfassung, und es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder aufgeben oder etwas einnehmen. Ich habe mir Corridan gekauft, das man in jeder Apotheke ohne Rezept erhält, und ich bin der Meinung, dass ich als Rennfahrer das gleiche Recht wie jeder andere französische Bürger habe. Außerdem hätte mir kein Mensch meinen Verdienstausfall bezahlt, wenn ich zur Aufgabe gezwungen worden wäre."
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.03.2007, Nr. 11 / Seite 23